Die neue Transparenz
Für die Trendforscherin Li Edelkoort geht es in der Mode immer um Vertrauen. Mit ihrer schwarz gerahmten Ray-Ban-Brille, ihrem streng geschnittenen Pagenkopf und dem bodenlangen Gewand aus türkisfarbenem Pannesamt sieht sie aus wie eine Hohepriesterin. Ihren Zuhörern verkündet sie in ihrem Vortrag „The Emancipation of Everything“: „Die Verbraucher wollen der Kleidung, die sie tragen, vertrauen, sie wollen den Fasern vertrauen.“ Darauf müssen Designer heute reagieren.
Als Juliana Holtzheimer und Anna Bronowski vor zwei Jahren ihr Diplom an der Hamburger Akademie für Mode machen, sind sie sich einig, dass sie keine konventionell produzierte Mode gestalten wollen – ein anonymes Produkt, das wie vom Himmel gefallen in den Regalen der Geschäfte landet und oft auf Kosten von Mensch und Umwelt hergestellt wird. Mit ihrem Label Jan ‘n June möchten sie, dass ihre Kunden nachvollziehen können, was sie auf der Haut tragen und woher es stammt.
Die Modedesignerinnen lassen ihre gesamte Kollektion bei einer Familie im polnischen Breslau produzieren. Dank der geringen Entfernung können sie oft vor Ort sein. Keinerlei Arbeiten werden an Dritte weitergegeben, sondern alles bleibt in der Hand der Familie. Jan ‘n June verwendet für ihre hanseatisch geradlinige Mode – zu der Hemdblusenkleider genauso gehören wie Bodys aus gerippter Baumwolle und hochgeschlitzte Jerseyröcke – ausschließlich Materialien, die nachvollziehbar produziert und ressourcenschonend hergestellt werden. Dazu gehört zertifizierte Biobaumwolle, für deren Produktion deutlich weniger Wasser und deutlich weniger Pestizide eingesetzt werden müssen. Nach neuen Materialien fahnden sie am liebsten auf der Stoffmesse Munich Fabric Start, wo sie beispielsweise recyceltes Polyester aus geschredderten PET-Flaschen fanden und nun gern verwenden. „Der Markt für nachhaltige Stoffe, die transparent produziert werden und eine gute Umweltbilanz haben, ist noch überschaubar“, sagt Anna Bronowski, „aber ich denke, die Produzenten verstehen allmählich, dass es ein lohnender Markt ist.“ Während die Auswahl vor zwei Jahren besonders im Bereich Wolle oft nur aus Braun und Beigetönen bestand, wird das Angebot inzwischen breiter, die Stoffproduzenten reagieren auf die steigende Nachfrage. Jan ‘n June arbeitet beispielsweise mit den Materialien Viskose, Modal und Tencel – das sind aus Holz gewonnene Fasern, die umweltschonend sind. Um sie herzustellen, wird ein ungiftiges Lösungsmittel verwendet, das in einem geschlossenen Kreislauf immer wieder verwendet werden kann. Und sie haben einen neuen Stoff gefunden, der sie begeistert: „Für die kommende Winterkollektion haben wir zum ersten Mal recycelten Polyester-Satin verwendet“, sagt Anna Bronowski, „von dem türkischen Hersteller Ipeker.“ Er hat Qualitäten, die man sonst nur von dem Naturstoff Seide kennt, fühlt sich weich an, glänzt matt und hochwertig und ist außerdem atmungsaktiv. Jan ‘n June verarbeitet ihn zu einem ebenso schönen wie zeitlosen Trägertop, wahlweise in Schwarz oder Türkis.
Auch Ilka Brand, die mit ihrer Marke Lapàporter Accessoires aus Leder herstellt, ist immer auf der Suche nach neuen Materialien. Sie mag strukturierte Leder, will für die Hüllen von Smartphones, I-Pads und Laptops aber kein Schlangenleder verwenden. Die Berliner Designerin stieß als Alternative auf Fischleder – und war begeistert. „Es erleichtert mein Gewissen, Abfallprodukte aus der Lebensmittelindustrie zu so schönen Produkten verarbeiten zu können“, sagt Ilka Brand. Tatsächlich sehen ihre Laptop- und Smartphonehüllen so hochwertig aus, wie man es von luxuriösen Lederartikeln kennt. Es gibt sie in einer Farbpalette von Altrosa über Türkis, Mitternachtsblau bis hin zu Cognacbraun und tiefem Schwarz. Aber anders als bei Produkten von Marken wie Louis Vuitton oder Prada weiß der Kunde bei Lapàporter, woher die verwendeten Materialien stammen und wie sie gefärbt wurden – mit Pflanzenfarben und ohne den Einsatz giftiger Chromsalze, die im Verdacht stehen, krebserregend zu sein. Ein bisschen Aufklärungsarbeit musste die Designerin für das Fischleder allerdings leisten: „Die meisten Kunden schnuppern erst einmal skeptisch an den Hüllen aus Lachsleder. Sie denken, Fischleder riecht wie Fisch. Tut es aber nicht.“